(aus: junge Welt vom 23.01.2004)
Staatsgewalt gegen indigene Autonomie Zwei Tote, Dutzende Festgenommene und Hunderte Flüchtlinge nach
Polizeiübergriff in Morelos, Mexiko von Luz Kerkeling, Mexiko-Stadt Im zentralmexikanischen Bundesstaat Morelos dauern die Proteste
gegen den konservativen Gouverneur Sergio Estrada Cajigal von der Partei der
Nationalen Aktion (PAN) an, nachdem in der Nacht auf den 14. Januar zwei Demonstranten
durch Schüsse der Polizei getötet worden waren. Basis- und
Menschenrechtsorganisationen fordern nun den Rücktritt Estradas, dessen
Partei auch der mexikanische Präsident Vicente Fox angehört. Die Situation in
der Gemeinde Tlalnepantla war eskaliert, nachdem sich die Gemeindeversammlung
am 11. Januar für autonom erklärt hatte. Damit orientierten sie sich an dem
Vorgehen, das in den vergangenen Jahren vor allem von der neozapatistischen
Bewegung im Bundesstaat Chiapas geprägt wurde. Unmittelbar nach der
Versammlung erkannte die Gemeinde Bürgermeister Elías Osorio seine politische
Autorität ab, besetzte die lokalen Regierungsbüros und nahm die Verwaltungsarbeit
in eigener Regie auf. Zu gewaltsamen Zusammenstößen war es gekommen, als sich
zwei Tage später Anhänger des geschaßten Politikers der ehemaligen
Staatspartei PRI (Institutionelle Revolutionäre Partei) vor dem Rathaus
versammelten. Die beigerufenen Polizeikräfte griffen in den frühen Morgenstunden
die Verwaltungsräume an und nahmen Dutzende Angehörige der autonomen
Verwaltung fest. Bei dem Sturm auf die städtischen Räume fielen auch die tödlichen
Schüsse. Hunderte Menschen flüchteten aus Angst vor Gewalt in die umliegenden
Dörfer und Berge. Bis heute ist die Gemeinde von staatlichen »Sicherheitskräften«
umstellt. Eine Solidaritätskarawane wurde Anfang der Woche durch massiven
Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst. Gouverneur Estrada und
Innenminister Santiago Creel verteidigten das massive Vorgehen und dessen
tödliche Folgen mit einer »möglichen Existenz von terroristischen Zellen«.
Man wolle prüfen, ob »Guerrilla-Kräfte« an der Einnahme des lokalen Regierungspalastes
beteiligt gewesen seien. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen
dementierten diese Spekulation und beschuldigen die bundesstaatliche und die
zentrale Regierung der Verletzung von Menschenrechten. Pirra Mofeta vom
libertären Kollektiv (KLAT) aus Cuernavaca, Morelos, zeigte sich im jW-Gespräch
davon überzeugt, daß die Regierung Fox »und vor allem die PAN in Morelos mit
dem gewaltsamen Vorgehen einmal mehr ihren autoritären Charakter« unter
Beweis gestellt hat. Die Autonomie-Bewegung der indigenen und ländlichen Gemeinden
hat im Aufstand der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) im
südmexikanischen Chiapas ihren bisher stärksten Ausdruck gefunden. Obwohl
Regierung und EZLN 1996 ein Abkommen über indigene Selbstverwaltung
unterzeichnet hatten, wurde dieses von der Regierung nie umgesetzt. Teile der
unabhängigen Indígena-Bewegung haben sich daher für eine »Autonomie ohne
Erlaubnis« entschieden. Zwar haben die Neozapatisten wichtige Anstöße für die
Autonomiebewegung gegeben, sie bilden aber nur einen Teil des wachsenden
Widerstandes in Südmexiko. Experten zufolge werden sich diese Bewegungen in Zukunft
auch durch die Staatsgewalt nicht unterdrücken lassen. -> Startseite Gruppe
B.A.S.T.A. |